Seit der Teil Legalisierung von Cannabis im April 2024 ist viel passiert – und gleichzeitig erstaunlich wenig. Während sich Politik, Behörden, Ärzteverbände, Vereine und Konsument:innen weiter durch das junge Cannabisgesetz navigieren, zeigt eine neue große Studie vor allem eines: Es ist nicht das Chaos ausgebrochen, vor dem viele gewarnt haben.
Im Gegenteil. Die erste umfassende Datenauswertung des Epidemiologischen Suchtsurveys (ESA) bestätigt, was Expert:innen seit Jahren beobachten: Der Cannabiskonsum steigt langfristig moderat – aber nicht wegen der Legalisierung. 2024 konsumierten 9,8 % der Befragten innerhalb der letzten zwölf Monate Cannabis – ein Anstieg, der sich seit 2012 kontinuierlich zeigt, nicht als Folge des Gesetzes, sondern als gesellschaftlicher Trend.
Auch die Gründe bleiben vertraut: Spaß, Entspannung, Stressabbau. Parallel gibt es eine wachsende Gruppe, die Cannabis medizinisch nutzt – auch wenn die Studie das nicht separat ausweist. Ebenfalls klar: Deutschland konsumiert weiterhin bevorzugt Joints mit Tabak, die ungesündeste Variante. Vaporizer & Co. bleiben Randerscheinungen.
Kurz gesagt: Der Konsum bleibt stabil, aber die Strukturen darum herum sind in Bewegung.
WIE EIN GESETZ DAS LAUFEN LERNT
Was sich dagegen stark verändert hat, ist das Gesetz selbst – oder besser: die Debatte darüber.
Kaum eine andere Reform der letzten Jahre musste so oft nachgeschärft, diskutiert, eingehegt oder verteidigt werden wie das Cannabisgesetz. Man könnte sagen: Es ist das Chaos Child der deutschen Gesetzgebung. Laut, umkämpft, sensibel – und noch in der Findungsphase.
Aktuell steht besonders der Bereich Medizinalcannabis im Fokus. Die Bundesregierung plant umfangreiche Anpassungen, weil sich in der Praxis Grauzonen entwickelt haben, die niemand so vorgesehen hat: Telemedizin-Plattformen, die eher wie Start-ups funktionieren als wie ärztliche Versorgung. Versandmodelle, die Cannabis wie ein D2C-Produkt wirken lassen. Importmengen, die steigen, weil plötzlich Freizeitkonsum über medizinische Wege gedeckt wird.
All das soll reguliert, geschärft oder neu geordnet werden – teils sinnvoll, teils holprig. Die Details gehören in einen eigenen Artikel (den wir bereits geschrieben haben) – aber klar ist: Das Gesetz wurde geöffnet, bevor alle Stellschrauben festgezogen waren. Jetzt wird nachgezogen.
MODELLPROJEKTE: GROßE VISION, KLEINER REALITY CHECK
Wenn man verstehen möchte, warum die deutsche Cannabisregulierung sich manchmal wie ein unfertiges Puzzle anfühlt, muss man nur auf die Modellprojekte schauen — jene zweite Säule, über die wissenschaftlich begleitet getestet werden sollte, wie ein regulierter Verkauf in Fachgeschäften funktionieren könnte.
Genau diese Projekte stehen nun jedoch still. Seit Wochen lehnt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) systematisch Anträge ab. Selbst die geplanten Vorhaben in drei Berliner Bezirken stehen nach Medienberichten vor dem Aus. Die BLE hat inzwischen eine vorläufige Stellungnahme veröffentlicht — und mit ihr wird vor allem eines deutlich: Die Behörde sieht sich faktisch nicht in der Lage, Modellprojekte zu genehmigen.
Warum? Weil die Ampelkoalition zwar die Forschungsklausel geschaffen hat, aber das eigentliche Gesetz für die zweite Säule nie verabschiedet wurde. Die BLE arbeitet deshalb mit einer Rechtsgrundlage, die eigentlich nie dafür gedacht war, echte Modellregionen umzusetzen.
In ihrer Stellungnahme erklärt die Behörde, dass die Forschungsklausel keine Grundlage bietet, um kommerzielle Lieferketten oder Fachgeschäfte zu erproben. Damit fällt genau das weg, wofür die Modellprojekte politisch vorgesehen waren: Erkenntnisse zu Konsum, Prävention und Jugendschutz im regulierten Fachhandel zu gewinnen.
Ironischerweise sagt die BLE in einigen Ablehnungsbescheiden sogar ganz offen, dass manche Anträge „dem Kern nach Modellprojekte der Säule 2“ seien — und damit nicht unter die Forschungsklausel fallen. Ein wissenschaftliches Modellprojekt ist also zu „säule-2-artig“, um genehmigt zu werden. Ein perfekter deutscher Paradoxmoment.
Gleichzeitig verweist die BLE darauf, dass ihr selbst wesentliche Kompetenzen fehlen: Sie kann keine Anzahl von Fachgeschäften für Regionen definieren, keine geeigneten Teilnehmergruppen festlegen und keine Lieferketten genehmigen, weil dafür ein eigenes Gesetz erforderlich wäre — ein Gesetz, das niemals kam.
Was bleibt, sind nur Mini-Projekte: Anbauversuche, Studien zu Konsumformen, KI-gestützte Anbauoptimierung, Lagerungsforschung. Alles sinnvoll — aber weit entfernt von der Frage, die Deutschland eigentlich beantworten wollte: Wie sieht ein sicherer, regulierter, wissenschaftlich evaluierter Cannabis-Fachhandel aus?
DER TEUFEL DER IM DETAIL STECKT: MARKTVERSCHIEBUNGEN DIE KEINER IM PLAN HAT
Während die Modellprojekte warten, wächst ein anderer Faktor rasant: Medizinalcannabis-Importe und damit der Niedrigpreis-Wettbewerb digitaler Rezeptmodelle. Das führt zu einer paradoxen Situation: Freizeitkonsumierende können über telemedizinische Wege teilweise günstiger an Cannabis kommen als in legalen, regulierten Cannabis-Vereinigungen.
Und genau das setzt Vereine unter Druck – obwohl sie streng reguliert, transparent und nicht-kommerziell arbeiten. Ihre Preise können mit dem rabattgetriebenen Medizinalmarkt nicht mithalten. Ihre Strukturen stehen auf wackeligem Boden, weil der politische Fokus fehlt. Und ihre Rolle als herzstück der freien, legalen und gemeinschaftlichen Versorgung verliert an Sichtbarkeit, obwohl sie genau dafür geschaffen wurden.
Wenn Deutschland nachhaltig regulieren will, braucht es stabile Vereinigungen – nicht einen Markt, der von Algorithmen, Importquoten und digitalen Rezeptwegen dominiert wird.
FAZIT: DEUTSCHLAND HAT LEGALISIERT – JETZT MUSS ES SORTIEREN
Die neue Studie zeigt: Beim Konsum passiert weniger, als viele befürchtet haben. Das ist gut.
Die politische Debatte zeigt: Beim Gesetz passiert mehr, als viele überblicken. Das ist kompliziert.
Die Praxis zeigt: Der Markt sortiert sich selbst, schneller als die Politik mitkommt. Das ist riskant.
Und genau hier braucht es eine klare Linie:
- Cannabis-Vereinigungen müssen gestärkt werden – sie sind die faire, sichere und nicht-kommerzielle Option für Freizeitkonsum.
- Telemedizin darf Versorgung bieten, aber keine Parallelwelt für günstigen Freizeitkonsum erschaffen.
- Modellprojekte müssen kommen, damit Deutschland versteht, wie regulierter Verkauf wirklich funktioniert.
- Und vor allem:
Die Politik muss das Gesetz erwachsen werden lassen – weniger Chaos, mehr Struktur.
So well… the story remains: TOGETHER TOWARDS A DREAM OF GREEN..